sola scriptura

Fake News or Good News? Je mehr uns bewusst wird, wie sehr unsere Informationen gefiltert sind, die uns über die Medien erreichen, ja, wie sogar ‚gefakte‘, also bewusst  veränderte wenn nicht gar erfundene Geschichten unser Denken und Leben beeinflussen, desto mehr stellt sich die Frage nach der Qualität der Quellen. Kann man wenigstens den diversen -leaks vorbehaltlos vertrauen? Oder stehen da nur andere Interessen dahinter? Und was die Religion und den Glauben betrifft: Gibt es so etwas wie Gott-leaks?

Mit der Aussage, dass die Heilige Schrift „durch sich selbst glaubwürdig, deutlich und ihr eigener Ausleger“ („per se certissima, apertissima, sui ipsius interpres“) isti, lässt Martin Luther das anklingen, was er dann in seiner Schrift über den unfreien Willen ausformuliert: der Sinn der Heiligen Schrift ist keineswegs dunkel und zweideutig, sondern hell, klar, eindeutig und gewiss. In ihr haben wir Gottes Wort, das uns alles vermittelt, was für das ewige Heil notwendig und hinreichend ist. Und durch das der Heilige Geist dieses Heil wirkt, wenn er uns das Wort aufschließt.

Dieser kühne Satz rüttelt an den Grundfesten der Kirche. Jahrhunderte lang hatte sie ihre Tradition über die Autorität der Bibel gestellt. Mit der Begründung, dass die Kirche ja älter sei als die Bibel in ihrer heutigen Form und dass das kirchliche Lehramt im Zuge der Kanonbildung die Heilige Schrift des Neuen Testaments erst geformt habe. Überdies sei die Bibel oft so dunkel, dass nur die Autorität des kirchlichen Lehramtes den Leser vor Irrwegen bewahren könne. Daher sei es (insbesondere für den Laien) unmöglich,die göttliche Wahrheit – und damit das Heil - allein in der Schrift, ohne die Anleitung durch die Tradition des kirchlichen Lehramtes zu finden. Und die römisch-katholische Kirche bekräftigt bis heute, dass die Gläubigen diesen „authentischen Lehren“ den „religiösen Gehorsam des Willens und des Verstandes“ zu leisten haben.ii Dem setzt Luther sein „allein durch die Schrift“ entgegen. Dabei geht es nicht in erster Linie um biblisches Argumentieren. Auch die mittelalterliche Kirche argumentierte mit der Bibel. Aber sie tat das mit einer Spitzfindigkeit der Auslegung, die notfalls den Wortsinn der Schrift ins Gegenteil verkehrte, um das Schriftwort dem jeweiligen Anliegen dienstbar zu machen. Und die Re-Form, die Rückbesinnung Luthers, bestand darin, den Wortsinniii wieder ins Zentrum zu rücken. Man kann heute nur mehr schwer ermessen, wie revolutionär Luthers Ansatz war.

Allein die Heilige Schrift („sola scriptura“) – dieses Prinzip ist einer der vier Grundpfeiler reformatorischer Theologie. Im Kern geht es darum, dass uns in der Heiligen Schrift das unveränderliche Wort Gottes begegnet. Und das nicht im Sinn der erst viel später entstandenen Lehre von der Verbalinspiration (die Hl. Schrift ist vom Heiligen Geist Wort für Wort „diktiert“). Für Luther ist das Gotteswort im Menschenwort „verhüllt“iv, aber nichtsdestoweniger „unfehlbares Wort Gottes“.v

Das „sola scriptura“ haben die Reformatoren nicht als generelle Absage an jegliche Form kirchlicher Tradition verstanden. Aber dieses Schriftprinzip soll sicherstellen, dass jede Tradition – und jede Lehrentscheidung – am Wortlaut der Heiligen Schrift gemessen wird. Und verworfen werden muss, wenn sie mit ihm nicht vereinbar ist.

In der Konkordienformel von 1577 wird festgehalten: "... es bleibt allein die Heilige Schrift der einzige Richter und die einzige Regel und Richtschnur, nach der aus dem einzigen Prüfstein alle Lehren gemessen und beurteilt werden sollen und müssen, ob sie gut oder böse, richtig oder unrichtig sind."vi

Die Bibel ist nicht dazu da, dass wir sie kritisieren, sondern dazu, dass sie uns kritisiert.
Søren Kierkegaard

 

 

 

i Wahrheitsbekräftigung aller Artikel Martin Luthers, die von der jüngsten Bulle Leos X. verdammt worden sind (= D. Martin Luthers Werke. WA 7). 1897, S. 97 (Latein: Assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum. 1521.).

ii Katechismus der Katholischen Kirche 892, S. 263; Oldenbourg Verlag 1993

iii „Die Allegorien bringen in der Theologie keine festen Beweise zustande; wie Bilder schmücken und verdeutlichen sie eine Sache.“ D.Martin Luthers Epistel-Auslegung,4. Band Der Galaterbrief S.259; Vandenhoeck&Ruprecht 1987

iv „Die heilige Schrift ist Gottes Wort, geschrieben und (das ich so rede) gebuchstabet und im buchstaben gebildet, gleich wie Christus ist das ewige Gottes wort, in die Menschheit verhuellet.“ (WA 48, 31)

v „verbum Dei infallibile“ (WA 2, 279)

vi Unser Glaube – Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche 875, S.776; Gütersloher Verlagshaus 1991