Zum Jubiläum der Reformation

500 Jahre Reformation ist eigentlich eine Untertreibung. Denn Re-Form-ation, also das, was ist, wieder in die richtige Form – oder auf den richtigen Weg – bringen, war eine Notwendigkeit von frühesten Zeiten an. Auch schon lange vor Luther, dessen Veröffentlichung von 95 systemkritischen Thesen wir 2017 feiern. Die dadurch angestoßene Reformation hatte allerdings weitreichendere Auswirkungen als frühere Anstöße

 Reformationsjubiläum 2017 – historische Zusammenhänge:

Um diese zu verstehen, muss man einen Rückblick in das ausgehende Mittelalter am Ende des 15. Jahrhunderts tun. Der Mensch dieser Zeit war unter anderem geprägt durch eine ständige Angst vor dem allzu raschen Tod (durch Seuchen, Hungersnöte, Kriege etc.) und den - wegen seiner irdischen Missetaten und Sünden - zu erwartenden Strafen im Jenseits. Die Frage: „Wie gelange ich in das himmlische Paradies ?“ bzw.: „Wie bekomme ich einen gnädigen GOTT ?“ waren die zentralen Fragen des mittelalterlichen Menschen, ja der gesamten damaligen Gesellschaft. Um diese Angst zu lindern, bot die mittelalterliche Kirche verschiedenste Gnadenmittel an, um den Menschen das Heil im Jenseits möglich zu machen.

Allerdings war die Kirche dieser Zeit selbst von schweren Missständen gezeichnet: die Lebensweise vieler Päpste, aber auch vieler einfacher Kleriker entsprach nicht biblischen Maßstäben. Korruption, Faulheit, Ämterkauf, Wucher, Missbrauch der Religion zur eigenen Bereicherung und zur Machtausübung waren an der Tagesordnung und machten die Kirche und deren Amtsträger oft höchst unglaubwürdig. Der Ruf nach einer raschen Kirchenreform war unüberhörbar und wurde immer lauter.

Die kirchliche Verkündigung dieser Zeit war auf Androhung der Vergeltung von irdischen Missetaten im Jenseits ausgerichtet. Um langdauernden Strafen im Fegefeuer oder gar der ewigen Verdammnis in der Hölle entrinnen zu können, bot die Kirche den Gläubigen ver-schiedene Gnadenmittel an: so das genaue Aufzählen aller Verfehlungen im Beichtstuhl, vor allem aber das Tun guter Werke wie z.B. Fasten, Wallfahrten, Kauf von Ablässen, Errichtung von religiösen Stiftungen, Ablegung von Klostergelübden etc. Doch blieben bei den Gläubigen stets quälende Frage offen, wie: „Werden meine guten Werke im Jenseits tatsächlich auch anerkannt ?“, und: „Reichen sie überhaupt aus, um meine Sünden zu tilgen ?“

Genau diese Fragen, verknüpft mit der Vorstellung eines rächenden, zornigen GOTTES, haben auch den Augustinermönch Dr.Martin Luther am Beginn des 16.Jahrhunderts zur Verzweiflung getrieben. Erst durch eine genauere Beschäftigung mit dem Brief des Apostels Paulus an die Römer (siehe Römerbrief Kap.1 Vers 17, Kap.3 Vers 21 – 24) in der Heiligen Schrift hat der Theologieprofessor an der Universität Wittenberg (im heutigen Sachsen-Anhalt gelegen) festgestellt, dass der Mensch nicht durch religiöse Leistungen (gute Werke) die Rechtfertigung vor GOTT – und damit das Heil – erlangt, sondern dass dafür allein der Glaube genügt, dass Jesus Christus am Kreuz für alle unsere Sünden gestorben ist. Gute Werke seien daher nicht mehr Heilsvoraussetzung für den Menschen, allerdings müssen aus einem rechtfertigenden Glauben auch gute Werke folgen.

Diese vorerst „stille“ reformatorische Entdeckung Luthers wurde öffentlichkeitswirksam, als ein umfangreicher Ablasshandel die Grenzen Sachsens erreichte. In solchen „Ablässen“ wurde seitens der Kirche den Gläubigen angeboten, Sündenstrafen durch Zahlung einer Geldsumme abzulösen. Das widersprach Luther`s theologischer Erkenntnis der Glaubensgerechtigkeit (Rechtfertigung allein durch den Glauben) und er protestierte gegen den Ablasshandel mit seinen „95 Thesen“, die er im Jahre 1517 veröffentlichte und seinen kirchlichen Vorgesetzten übermittelte. Er soll sie am 31.10.1517 auch an der Universitätskirche in Wittenberg angeschlagen haben, daher feiern die Evangelischen Kirchen jährlich den 31.Oktober als „Reformationstag“.

Ein weiterer fundamentaler Grundsatz der Theologie Luther`s war, dass für den Inhalt des Glaubens und damit in der Lehre der Kirche nur mehr das verbindlich sein soll, was in der Heiligen Schrift – insbesondere im Neuen Testament - seine Grundlage findet. Damit die Gläubigen dies nachlesen können, hat Luther die Bibel in die deutsche Sprache übersetzt und damit nicht nur die religiöse Bildung der Bevölkerung entscheidend gehoben, sondern auch die damals sehr unterschiedliche deutsche Schriftsprache vereinheitlicht. Auch wurden die früheren lateinischen Gottesdienste nunmehr in deutscher Sprache abgehalten.

Die Veröffentlichung der 95 Thesen hat in der damaligen Kirche und Gesellschaft eine Kette von religiösen und politischen Ereignissen, ja Umwälzungen ausgelöst, die die Historiker später als Beginn eines neuen geschichtlichen Zeitabschnittes, nämlich als „Reformationszeit“ bezeichnen. Die weitere Entwicklung führte – auch auf Grund der Reaktion der damaligen Kirche (Bann und Exkommunikation Luthers im Jahr 1520) und politischer Kräfte (Ächtung Luthers durch das Wormser Edikt) sowie einer Vielzahl weiterer reformatorischer Schriften - zur Herausbildung einer neuen „evangelischen“ Konfession (Verfassung des „Augsburger Bekenntnisses“ im Jahr 1530 durch Philipp Melanchthon, eines Mitstreiters von Martin Luther) und zur Bildung neuer „Evangelischer“ Kirchen, besonders in Deutschland, aber auch in Österreich und anderen europäischen Ländern. „Evangelisch“ nannte sich die neue Glaubensrichtung deswegen, weil sie Jesus Christus und sein Evangelium beson-ders ins Zentrum des Glaubens rücken wollte.

In der Schweiz wurde im 16.Jahrhundert eine ähnliche Reformbewegung durch die Reformatoren Huldrych Zwingli und Johannes Calvin angestoßen, ihnen verdanken wir eine zweite „Richtung“ im evangelischen Lager, nämlich das „reformierte“ Bekenntnis.

Viele Menschen der damaligen Zeit haben die Beseitigung des religiösen Leistungszwanges sowie des religiösen Machtmissbrauches der damaligen mittelalterlichen Kirche und die Möglichkeit, die Heilige Schrift als alleinige Grundlage des Glaubens nun in ihrer Sprache lesen und Gottesdienste in ihrer Sprache feiern zu können, als echte BEFREIUNG empfunden.

 

Was verdanken wir heutige moderne Menschen dem Reformator Martin Luther ? Nun zweifaches:

1.

Die mittelalterliche Kirche hat den Gläubigen befohlen, was sie zu glauben haben. Genau das hat Luther nicht mehr akzeptiert. Er hat sich den Glauben nicht mehr diktieren lassen, sein religiöses Gewissen war nur mehr am Wortlaut der Heiligen Schrift gebunden, er hat sich so von den damaligen kirchlichen Autoritäten „emanzipiert“. In der Freiheit der religiösen Gewissensentscheidung beginnt die individuelle Freiheit des Einzelnen als eine Grundvoraussetzung des modernen Menschen.

2.

Die mittelalterliche Kirche hat die einfachen Gläubigen der über sie herrschenden Priesterschaft (Pfarrer, Bischöfe, Papst) untergeordnet. Luther dagegen hat auf Grund der Aussagen der Heiligen Schrift gelehrt, dass jeder rechtgläubige Christ auch geistlichen Standes sei und damit grundsätzlich auch priesterliche Eigenschaft innehabe. Dies ist die evangelische Lehre vom Priestertum aller Gläubigen. Aus diesem Grunde dürfen in der evangelischen Kirche auch Laien Gottesdienste halten (wozu sie noch eine Ausbildung und eine Berufung der Pfarrgemeinde benötigen). Dieses Element der grundsätzlichen Gleichberechtigung aller Gläubigen hat in vielen Pfarrgemeinden und Kirchen später zu demokratischen Strukturen geführt.